30.
Denken wir uns folgendes psychologisches
Experiment:
Wir zeigen dem Subje
kt zwei Linien g
1, g
2 durch welche quer die Gerade
a gezogen ist
.
Das Stück dieser Geraden welches zwischen g
1 & g
2 liegt werde
ich
auch || die Strecke
a nennen.
Wir ziehen nun in beliebiger
Entfernung von a
& parallel dazu b
& fragen ob er die Strecke b größer sieht als a oder
ob er die beiden Längen nicht
mehr unterscheidet.
Er antwortet,
b erscheine größer
als a.
Darauf nähern wir uns a, indem wir die Distanz von a zu b
mit unsern Meßinstrumenten halbieren
& ziehen c.
„Siehst Du c größer als
a?”
. || –
„Ja”.
Wir halbieren die Distanz c–a
& ziehen d.
„Siehst Du d größer als a?”
–
„Ja”.
Wir halbieren a–d.
„Siehst Du e größer als a?”
– „Nein”.
Wir halbieren daher e–d.
„Siehst Du f größer als e?”
– „Ja”.
Wir halbieren also e–f & ziehen
g
||
h.
Wir könnten uns so auch von der linken Seite der Strecke a nähern, &
dann sagen daß einer gesehenen Länge
a im
Euklidischen Raum nicht eine Länge sondern ein Interval
l von Längen entspricht, und in
ähnlicher Weise einer gesehenen Lage eines Strichs (etwa
eines || des Zeigens eines Instruments) ein Interval
l von
Lagen im Euklidischen Raum; aber
dieses Interval
l hat nicht scharfe
Grenzen.
Das heißt: es ist nicht von
Linien begrenzt || Punkten begrenzt sondern von konvergierenden Interval
len die nicht
gegen einen Punkt konvergieren.
(Wie die Reihe der Dualbrüche die wir durch Werfen von Kopf
& Adler erzeugen).
Das Charakteristische zweier Interval
le, die so nicht durch Punkte sondern
unscharf begrenzt sind, ist, daß auf die Frage, ob
sie einander übergreifen oder getrennt von einander liegen in gewissen
Fällen die Antwort lautet: „unentschieden”.
Und daß die Frage ob sie einander berühren, einen Endpunkt
mit einander gemein haben, immer sinnlos ist,
da sie ja keine Endpunkte haben.
Man könnte aber sagen: sie haben
vorläufige Endpunkte.
In dem Sinne in welchem die Entwicklung von
π ein vorläufiges Ende hat.
An dieser Eigenschaft des ‚unscharfen’ Interval
ls ist
natürlich nichts
Geheimnisvolles sondern das etwas Paradoxe klärt sich durch die doppelte Verwendung des Wortes
Interval
l auf.
Es ist dies der gleiche Fall wie der der doppelten Verwendung des Wortes
Schach, wenn es einmal die Gesamtheit der jetzt geltenden Schachregeln bedeutet, ein andermal: das Spiel welches N.N. in Persien erfunden hat
& welches sich so & so entwickelt hat.
In einem Fall ist es unsinnig von einer
Änderung || Entwicklung der Schachregeln zu reden, im andern Fall nicht.
Wir können „Länge einer
gemessenen Strecke” entweder das nennen, was bei einer bestimmten
Messung die ich heute um 5 Uhr
durchführe herauskommt – dann gibt es für diese
Längenangabe kein „ ± etc.” –, oder etwas dem sich
Messungen nähern etc.; in den zwei
Fällen wird das Wort „Länge”
mit ganz verschiedener Grammatik gebraucht.
Und ebenso das Wort „Interval
l” wenn ich einmal etwas Fertiges, einmal etwas sich
Entwickelndes ein Interval
l nenne.
I
¤ Die
Intervalle liegen getrennt
II sie liegen getrennt &
berühren sich vorläufig
III
unentschieden
IV unentschieden
V unentschieden
VI
sie übergreifen
VII sie übergreifen
Wir können uns aber nicht wundern,
daß nun ein Interval
l so seltsame
Eigenschaften haben soll; da
ß wir eben
das Wort Interval
l jetzt in einem
nicht gewöhnlichen Sinn gebrauchen.
Und wir können nicht sagen wir haben neue Eigenschaften gewisser Intervalle entdeckt.
So wenig wie wir neue Eigenschaften des Schachkönigs entdecken würden, wenn wir die Regeln des Spiels änderten aber
die Bezeichnung „Schach” & „König” bei
behielten.
(Vergl. dagegen Brouwer über das
Gesetz des ausgeschlossenen Dritten.)
Jener Versuch ergibt also wesentlich, was wir ein „unscharfes” Interval
l genannt haben, dagegen
sind || wären natürlich andere Experimente
möglich || denkbar die statt dessen ein scharfes
Interval
l ergeben.
Denken wir etwa, wir bewegten ein Lineal
(langsam)
von der Anfangsstellung b, & parallel zu dieser, gegen a hin, bis in unserm Subjekt irgend eine bestimmte Reaktion einträte; dann
könnten wir den Punkt an dem die Reaktion beginnt die Grenze unseres Streifens nennen.
– So könnten wir natürlich auch ein
Wägungsresultat „das Gewicht eines
Körpers” nennen & es gäbe dann in diesem
Sinn eine absolut genaue Wägung d.i.
eine deren Resultat nicht die Form „G ± g” hat.
Wir haben
damit unsere Ausdrucksweise geändert, & müssen nun sagen daß
das Gewicht des Körpers schwankt & zwar nach
einem uns unbekannten Gesetz.
(Die Unterscheidung zwischen „absolut
genauer” Wägung &
„wesentlich ungenauer” Wägung ist
ein grammatischer & bezieht sich auf zwei verschiedene Bedeutungen des
Wortes || Ausdrucks
„Wägung” oder
„
Resultat || Ergebnis der Wägung”.)