2.10.
In Cambridge angekommen. Fuhr von
Wien am 26
ten ab & zu
Tante Clara in
Thumersbach & wenn es auch nicht so rein herrlich
dort bei ihr war wie sonst in Laxenburg so war es
doch schön & ich schied mit guten Gefühlen.
Am 27
ten Abend kam ich in
Gottlieben an & da war es erst gespannt
da so viel
Unaufgeklärtes in der Luft lag & wir
saßen im Auto in dem sie mich abholte & beim Abendessen
still oder von
gleichg
ültigen Dingen
redend. Und stockend, oder gezwungen fließend wie man es tut wenn
eigentlich schwere Sachen im Innern
drücken. Nach dem Nachtma
hl fing ich an
über ihren letzten Brief zu reden. Ich sagte daß
mir ein gewisser Ton von Triumph an ihm als unrichtig
aufgefallen sei. Daß sie wenn alles in Ordnung
wäre nicht in triumphalem Ton geschrieben hätte weil
sie dann auch die Schwierigkeiten gesehen hätte &
das Angenehme als eine Gnade des Himmels angenommen
hätte. Ich bat sie so bald als möglich
nach
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Wien zu kommen &
dort zu arbeiten. Erst als wir (besonders ich) schon
ziemlich viel geredet hatten sah ich daß sie sehr
unglücklich sei. Im Grunde war der Gedanke an
das Heiraten in ihr obenauf. Das schien für sie doch
die einzige
wirkliche Lösung.
Das
brauche sie & sonst nichts. Ich bat sie Geduld
zu haben.
Es werde sich das
Richtige – ihr
Angemessene – für sie
finden. Sie solle jetzt vor allem einmal wieder
anständig arbeiten & das weitere
abwarten. Erst bei einer anständigen
Arbeit werde ihr alles klarer & leichter
erträglich werden. – Sie war bei diesem Gespräch wieder recht fremd
gegen mich wich meinen Küssen eher aus &
sah oft geradezu finster drein &
blickte dabei zur Seite was ich an ihr nie gesehen hatte
& mich gleichsam erschreckte. Sie schien kalt
gegen mich, bitter, & unglücklich
& beinahe abweisend. Am nächsten
Morgen war es etwas besser. Wir gingen spazieren &
plauderten einiges & sie war zugänglicher &
herzlicher. Sie war jetzt entschieden dafür nach
Wien zu gehen & schien im Allgemeinen
ruhiger. Am Abend aber nach einem weiteren ernsten
Gespräch fing sie an zu weinen.
Ich hielt sie in meinen Armen & sie weinte an meiner
Schulter. Es war aber ein gutes Weinen & sie war
darauf weicher & etwas erleichtert. Am
nächsten Morgen entschied ich mich noch einen Tag zu
bleiben
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gegen meinen ursprünglichen
Plan. Ich hatte das Gefühl es werde für sie
(& überhaupt) gut sein
. Auch sie war –
glaube ich – froh darüber. Am Nachmittag
gingen wir nach Konstanz um ein Paket mit zwei
Sweatern aufzugeben die sie für
Talla
gestrickt hatte. Ich mußte eine
Art || gewisse Eifersucht oder doch ein
ähnliches Gefühl unterdrücken. War es
deshalb oder vielleicht eine Reaktion auf die früheren
Aufregungen (denn alles war ungeheuer anstrengend für
mich) ich fühlte eine
lebhafte Verstimmung auf dem Nachhauseweg & es
ka
m mir immer etwas zum Weinen.
Ich bat M. vorauszugehen & kam später
nach. Es erleichterte mich allein sein zu
können. Zuhause hatte
ich noch
immer Herzklopfen & zog mich in mein Zimmer
zurück wo ich mich etwas elend fühlte. Dann kam
ich, noch immer aufgeregt zu
M. in den Salon wo wir gewöhnlich beisammen
saßen. Sie war über meinen Zustand etwas
bestürzt (ängstlich) aber er wurde bald besser
vielleicht auch weil ich ihre Teilnahme fühlte. Am
Abend dieses Tages war unser Verhältnis so gut & innig
wie in früheren Tagen. Ich hielt sie in den Armen
& wir küßten uns
lange & ich war
froh geblieben zu sein.
Am nächsten Tag aber kam ein Brief von Talla & der erzeugte einen Umschwung,
oder Rückschlag in der Stimmung. Am
Morgen || Nachmittag
ruderte ich
sie auf den R
hein zu einer klein
en
Insel wo viel Schilf wächst wie dort überall &
ruderte ins Schilf hinein was ich sehr liebe. Und dort
saßen wir im Boot & redeten lange über unser
Verhältnis zu einander. Sie
sagte wie wenig ich ihr bedeute wenn ich abwesend sei.
Und daß sie überhaupt ihr Verhältnis zu mir nicht
begriffe. Daß sie sich z.B. von
mir küssen lasse & mich küsse,
was
sie || wovor sie bei jedem anderen
zurückscheuen würde,
aber || & nicht versteht warum sie es bei mir
kann. Ich erklärte ihr manches so gut ich
konnte. Wir fuhren mit einander
nach Basel wo sie zu tun hat & mit mir am
Bahnhof wartete bis mein Zug nach
Boulogne abging. Während dieser Fahrt nach
Basel nun verschlechterte sich ihre Stimmung immer
mehr. Sie wurde wieder finster &
traurig. Ob durch den Inhalt von Tallas Brief oder nur dadurch daß er
überhaupt gekommen war & sie an ihre
vergeblichen Wünsche mahnte, weiß ich nicht. Ich
hielt ununterbrochen ihre Hand & sprach von
Zeit zu Zeit in sie ein nur um ihr –
beinahe || wenn auch unbewußt – eine geringe
Stütze zu geben. Beim letzten Abschied
kü
ßten wir uns aber ich fuhr mit schwerem
Herzen fort & mit dem Gefühl sie in keinem guten
Zustand zurückzulassen. Ich kam gestern
nachmittag in London an & fuhr gleich zu
Murakami dessen
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gute &
herzliche Art mir
half. Dann brachte ich den
Abend mit Gilbert zu
& wir waren eigentlich lustig wenn mich auch mein
schweres Gefühl nie verließ wie es natürlich ist.
Heute vormittag schrieb ich einen langen Brief an
Gretl worin
ich so gut ich konnte das Ergebnis meines Aufenthalts bei
M. & den Aufenthalt selbst
beschrieb. Dann nach Cambridge wo ich
bei Lettice wohne die sehr
freundlich & gut mit mir ist. Ich
erzählte ihr von Marguerite & unseren Schwierigkeiten. – Ich bin mir über die Bedeutung aller meiner
Erlebnisse mit M. sehr im Unklaren. Ich weiß
nicht wohin das führen soll, noch was ich tun soll um es in der
besten Weise zu beeinflussen und auch mein Egoismus spielt
in meine Gedanken hinein &
verwirrt vielleicht alles am meisten obwohl ich das nicht klar
sehe.